Bei Premiere nicht Gold, aber Silber und
Bronze, was will man mehr?
Die Premiere war gelungen! Zwar standen nicht die favorisierten deutschen Teams ganz oben
auf dem Treppchen, sondern "das Aschenbrödel der Eisröhre (wir waren das
vergessene Team)" Zitat Jill Bakken. Trotzdem wurde in Salt Lake City ein
Traum endlich Wirklichkeit!
Auch noch Stunden nach diesem allerersten olympischen Renntag im
Zwierbob der Frauen schlagen die Emotionen hoch. So liefen etliche Tränen
über so manche Wangen, vor Freude, vor Schmerzen und auch vor
Enttäuschung. Aber Tränen der Freude waren es mit Sicherheit bei dem
US-Amerikanerinnen Jill Bakken und ihrer Anschieberin Vonetta Flowers.
Tränen der Enttäuschung hingegen bei ihrer Kollegin Jean Racine und ihrer
neuen Anschieberin Gea Johnson. Im Vorfeld der Olympischen Spiele gab es
gerade bei diesem Team viel Trubel und Ärger, der schon beim Weltcupfinale
in Calgary im Dezember vergangenen Jahres begann. Bei einem Anschubtest auf
der Anschubstrecke im Eishaus von Calgary warf sie kurzer Hand ihre
langjährige Freundin Jennifer Davidson aus dem Team und entschied sich für
Gea Johnson. Die Bodybuilderin und wegen Dopings gesperrte Siebenkämpferin
Johnson fungierte davor noch bei Racines Kollegin Bonny Warner als
Anschieberin. Ihre kurzfristige Abwerbung beendete so Davidsons
Olympiahoffungen mit einem Schlag.
Team Susi Erdmann, Nicol Herschmann am Start. Rechts: Erica Fischbach, F.I.B.T. Jurymitglied
Klar, das Jennifer Davidson und Bonny
Warner, die nicht nur bei den Frauen, sondern auch bei den Herren als
Spurbob die Bahn herunter fuhren, das Disaster des Teams Racine/Johnson
mit einer kleinen Genugtuung mit ansahen. Denn aufgrund eines
Muskelfaserrisses, den sich Johnson schon bei den Trails im Dezember
zugezogen hatte, humpelte die Neuanwerbung, anstatt den Bob mit dem nötigen
kräftigen Schub in den Eiskanal zu starten.
Fatal für das Team, da sie
dieses Handicap nicht nur ihrer Pilotin, sondern auch den Trainern
verheimlichte und erst beim ersten Training der Olympischen Spiele
mit der Sprache heraus rückte. Kaum verwunderlich, dass sich alle fragten,
warum Johnson nicht ausgetauscht wurde. "Meine Entscheidung" erwiderte
Jean Racine auf solche Anfragen. Doch Insidern war bereits klar, dass dies
nicht ihre, sondern Gea Johnson´s Entscheidung war. Die Entscheidung, komme
was wolle, nicht aus dem Team ausgetauscht zu werden. Das Endresultat für
das Team Racine/Johnson belegte letztendlich einen enttäuschenden 5. Platz.
"You are super, you are the best" würden schließlich Bonny Warner und Jennifer
Davidson bei ihrer ersten Fahrt als Spurbob vernehmen. Fast alle
Athletinnen waren mit am Start und feuerten die beiden kräftig an, da
viele Genugtuung darin fanden. Für kaum eine Athletin war es
nachvollziehbar gewesen was im Vorfeld gelaufen war und sprachen von "dem
da oben, der wahrscheinlich zur richtigen Zeit und zum richtigen Zeitpunkt
am Rad gedreht hat".
15.000 enthusiastische Zuschauer an der Eisröhre in Park City boten
zusammen mit dem traumhaften Wetter am Renntag fantastische Bedingungen
für den Wettkampf. "Das war eine geniale Atmosphäre" schwärmte Erica
Fischbach, Jurymitglied des Internationalen Bob- und Skeletonverbandes,
F.I.B.T. Susi Erdmann sprach von einer Gänsehaut und Sandra Prokoff sogar
von einer Entenhaut. Und genauso war es auch. Entlang der ganzen 1.340
Meter der Eisrinne standen begeistere Fans Kopf an Kopf, gespannt auf die
Premiere der Damen in diesem Olympischen Wettbewerb.
Dass dieses Rennen von allen Seiten mit Argusaugen beobachtet wurde,
und zugleich ein Härtetest für diese Sportart sein sollte, war nicht nur
den Verantwortlichen klar, sondern den gesamten Athletinnen, Trainern und
Betreuern. Die harte Arbeit und der lange Kampf der letzten Jahre waren
nun endlich bereit belohnt zu werden. Die Nervosität steigerte sich von
Trainingstag zu Trainingstag und erreichte seinen absoluten Höhepunkt am
19. Februar, dem Renntag. "Da war das Weltcupfinale in Calgary nichts
dagegen, obwohl dort schon die Luft gebrannt hat" sagte Erica Fischbach,
"wir spürten die extreme Nervosität, die auch bei mir und meinem Kollegen
aus Kanada Joseph Kilburn nicht halt machte." Anspannung pur!!!!!
Im Gegensatz zu dem Team Bakken/Flowers, das mit Start- und Bahnrekord
eine fast fehlerfreie Fahrt hingelegt hatte, verlief der erste Lauf für
das deutsche Team nicht so glatt wie an den vorangegangenen
Trainingstagen. Sandra Prokoff hatte einen schweren Fahrfehler und
verpatzte hier schon mit ihrer Bremserin Ulrike Holzner, eine der besten
Weitspringerin Deutschlands vom USC Mainz, jegliche Chance Jill Bakken´s
Vorsprung von 0,29 Sekunden einzuholen. "Bin halt ein wenig abgebogen",
beurteilte die Winterbergerin den eigenen Lauf in ihrer gewohnt
schlaksigen Art.
So hätte sie beinahe noch den 2. Rang nach dem ersten
Lauf an die Gesamtweltcupsiegerin der Saison 2001/2002, ihrer eigenen
Mitstreiterin und Teamkollegin Susi Erdmann verloren. Erdmann fuhr bei
diesem Rennen nicht mit ihrer eigenen Teamkollegin Anne Dietrich. Obwohl
die 21-jährige Sprinterin aus dem sächsischen Zwickau und die deutsche
Dreisprung-Meisterin Nicole Herschmann (Berlin) in Oberhof bei dem
entscheidenden Test die schnellsten Zeiten schoben. „Annegret gehört zu
meinem Team. Das ist ganz klar, dass ich lieber mit ihr fahre“, sagte
Pilotin Susi Erdmann nach der Ausscheidung.
Zwischen dem Start ihrer
Bob-Karriere und dem Olympiadebüt lagen für Annegret Dietrich allerdings
nur vier Monate. Anfang Oktober hatte die Sprinterin aus der Magdeburger
Trainingsgruppe von Thomas Springstein ihre ersten Fahrten mit
Ex-Weltmeisterin Gabi Kohlisch absolviert. Bei ihrem Weltcupdebüt im
November in Winterberg wurde sie dann mit Susi Erdmann auf Anhieb Zweite.
So kam es dann für alle ein wenig überraschend, dass der Bundestrainer
Wolfgang Hoppe sich für Nicole Herschmann aus dem Team Sandra Prokoff
entschied und Anne Dietrich als Ersatzanschieberin nach Salt Lake City
reisen ließ. So lief auch der zweite Lauf bei beiden Teams nicht optimal,
trotz dem Startrekord von Sandra Prokoff und Ulrike Holzner (5.29 Sek.).
Bessere Startzeiten hingegen wären auch bei dem Team
Erdmann/Herschmann umsetzbar gewesen. Mit einigen Fahrfehlern zeigten sich
beide deutschen Teams nicht annähernd in der hervorragenden Form, in der
sie sich zuvor im Training und in der Saison davor gezeigt hatten. Denn
gerade auf einer kürzeren Eisbahn wie in Park City kann schon ein kleiner
Fehler eine enorme Auswirkung auf eine Platzierung haben. Trotz hoher
Erwartungen ist eine Silberne und eine Bronzene Medaille eine
sensationelle Bilanz der deutschen Mannschaft für den Einstand bei
Olympia.
Einige Medien zweifelten zwar an der richtigen Freude der
deutschen Damen. Jedoch Erica Fischbach konnte bestätigen, das diese Freue
echt war. So war es sicherlich richtig, dass die amerikanischen Pilotinnen
in Salt Lake City einen klaren Heimvorteil hatten und natürlich verstärkt
vor den Spielen auf ihrer Heimbahn trainieren konnten. Die deutschen
Pilotinnen hatten auf der olympischen Bahn ja nur rund 30 Abfahrten um
sich an die Strecke zu gewöhnen. Letztendlich zeigte sich doch die
ehrliche Freude unserer Mädels, als sie bei der Blumenzeremonie die
Goldmedaillen-Gewinnerinnen Jill Bakken und Vonetta Flowers auf den Händen
trugen. Gerecht zudem, dass eine Pilotin gewonnen hat, die schon seit 10
Jahren Bob fährt, ganz im Gegensatz zu den Teams Prokoff und Erdmann.
Hervorheben sollte man aber noch Spitzenathletin Susi Erdmann, die mit
ihren Medaillen im Rodeln der letzten Olympischen Spiele bereits in zwei
verschiedenen Sportarten Edelmetall für Deutschland erkämpfen konnte. Das
muss erst einer nach machen. Hut ab!
Auch
wenn es nach dieser Premiere
kaum noch kritische Stimmen gibt, kann man manche Äusserungen nicht
verstehen. Trotz gewonnener silbernen und bronzenen Medaille kann man
nur den Kopf über die Aussage des Herrn Kotter, Präsident des Bob- und
Schlittenverband für Deutschland, schüttelten: "Wenn es nach mir ginge,
gäbe es auch heute noch kein
Damenbob"
So manche Überschriften in bekannten Tageszeitungen vermuten ein
absolutes Unwissen des Journalisten über den Bobsport.
Soviel Presse-Schwachsinn und Unvermögen erntete bei den Insidern und
Fans nur ein müdes Lächeln.
Hier ein Beispiel: "Abgehängte Pionierin" oder "Für den Umstieg in den Bob
hat Susi Erdmann 150.000 EURO ausgegeben und viel Spott geerntet - bei der
Premiere wir sie Dritte!"
In Wirklichkeit war dies eine hervorragende Präsentation der Sportart
Damenbob, die von allen Seiten bestätigt wurde. Auch das positive Statement
des erfolgreichsten Bobfahrers der Welt, Wolfgang Hoppe, bestätigte, daß
dies ein sehr guter Wettkampf gewesen sei. Denn die Damen haben im Utah Olympia
Park mit der Erstaufführung eine solide Basis für eine vielversprechende
Entwicklung im olympischen Programm geschaffen.
Das man sich natürlich auf den errungenen Lorbeeren nicht ausruhen
darf, ist gewiss. Es muß gerade jetzt noch intensiver
gearbeitet werden. Gleich wichtig ist die Nachwuchsarbeit. Eine neue Idee
spukt zur Zeit schon in den Köpfen von Lois Holann (USA) und Erica
Fischbach (GER) herum. Es soll ein Austauschprogramm für neue junge
Athletinnen geschaffen werden.
Neue Athletinnen erhalten die Chance, bei Familien unterzukommen, die
in der Nähe eine Bobbahn haben. Dort sollen ausgiebige Trainigsmöglichkeiten
geschaffen werden. Bisher wurden die Bahnen in Kanada, USA und Deutschland
ins Auge gefaßt. Hierfür werden in allen drei Ländern noch
Sponsoren gesucht, die ein 14-tägiges Austauschprogramm auch finanzieren.
Trainer, die sich hier zur Verfügung stellen, müssen ebenfalls noch
angesprochen werden.
Sponsoren zu finden dürfte im Moment in Amerika einfacher zu finden sein. Die Bestätigung kam.
Bei allen Beteiligten traten Glücksgefühle auf und sahen es als eine große
Ehre an, das die beiden Goldmädchen bei
der Abschlussfeier die Olympische Fahne mit ins Rice-Eccles-Stadion tragen
durften.
Erica Fischbach mit Susi Erdmann
Zum Seitenanfang
|